Unsere Bedürfnisse sofort befriedigen zu können ist zur Gewohnheit und gleichzeitig zum Problem unserer Gesellschaft geworden. Auf den ersten Blick sieht man die guten Seiten. Doch auf lange Sicht macht es Sie kaputt.
Die ständige Verfügbarkeit von Essen und Trinken lässt uns verlernen, wie wir unser Hunger- und Durstgefühl zu interpretieren haben. Die Folge: Fettleibigkeit als Gesellschaftsphänomen.
Die ständige Verfügbarkeit von Waren und Dienstleistungen lässt uns verlernen, Produkte und Arbeit wertzuschätzen. Die Folge: Unmenschliche Arbeitsbedingungen für die Menschen, die sich nicht gegen den Kapitalismus wehren können.
Doch auch auf nicht-materieller Ebene hat die instant gratification längst Einzug in unser Leben gehalten, nämlich in Form von Social Media. Johann Grillenbeck geht diesem Phänomen aus der Perspektive eines Fotografen auf den Grund – indem er sich ihm völlig hingibt.
In der Welt der Fotografie kommt man heutzutage um die Plattform Instagram kaum herum. Viele aufstrebende Fotografen wollen die App nutzen, um ihren Bekanntheitsgrad zu steigern – so auch ich.
– Johann Grillenbeck
In den sogenannten Stories bei Instagram, das sind Bilder oder Videos im Hochkantformat, die nach 24 Stunden wieder verschwinden, postet der Fotograf spontane Bilder, die bei seinen alltäglichen Gängen zur Arbeit oder in den Supermarkt entstehen. Die Fotos werden mit dem Smartphone nativ in der App fotografiert und mit keinem Filter versehen.
Im Vergleich zur traditionellen Fotografie ist hier der Prozess vom Fotografen zum Betrachter quasi latenzfrei. Und auch das Feedback kommt sofort. Selbst wenn die Betrachter keine Nachricht absenden, sie erscheinen immerhin sofort nach Ansicht des Bildes als immer höher werdende Zahl in den Statistiken der App. Standardmäßig ist das Betrachten der Stories keineswegs anonym.
Mein fotografisches Auge kann ich sowieso nie abschalten. Und wenn ich etwas interessantes sehe, halte ich es fest. Mit dem benefit, dass ich sofort mitbekomme, wer und wie viele Menschen mein Werk gesehen haben.
– Johann Grillenbeck
Grillenbeck folgt mit dieser Herangehensweise an die Fotografie dem Zeitgeist einer ganzen Gesellschaft. Immer mehr Content wird hochkant konsumiert; auf der CES 2020 gab es sogar Prototypen von Fernsehern zu sehen, die sich an einer Aufhängung um 90° drehen können, um sich dem Seitenverhältnis der Inhalte anzupassen.
Das Fernsehprogramm in Zukunft also hochkant? Oder andersherum gefragt: Instagram, Facebook oder Snapchat Stories bald auf dem Fernseher? Das sind ganz andere Fragen.
Vertical Content widerspricht eigentlich dem Wesen des Menschen. Auch unser natürliches Sichtfeld ist „Breitbild“, und das evolutionär nicht ohne Grund. Deshalb sehe ich die Entwicklung durchaus kritisch.
– Johann Grillenbeck
Die Serie Instant Gratification von Grillenbeck spielt sich in erster Linie nicht auf seinem Instagram-Kanal ab, sondern in seinem Kopf. Die Hauptrolle spielt das Empfinden des Fotografen, über die positiv (weil hoch) oder negativ (weil zu niedrig) interpretierten Zahlen. Und ebendiese kann fast jeder bei sich selbst beobachten: Mache ich mich abhängig von der sofortigen Befriedigung meines Bedürfnisses nach Anerkennung? Wie reagiere ich, wenn dieses Bedürfnis nicht zu meiner Zufriedenheit befriedigt wird? Kann man das Bedürfnis nach Anerkennung überhaupt befriedigen, oder will man sowieso immer mehr?
Das alles sind Fragen, die Grillenbeck mit Instant Gratification aufwirft, um sie sich vielleicht irgendwann selbst beantworten zu können.